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Von Sehnsüchten und Holzwegen

Das Foto zeigt die Bronzeskulptur "Espaliered Girl" von Laura Ford

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Zur Kunstausstellung in der Zentrale der Bayerischen Staatsforsten

Anlässlich des Internationalen Jahres der Wälder veranstalten die Bayerischen Staatsforsten eine Kunstausstellung. Der folgende Text von Julian Müller ist dem <link fileadmin user_upload erlebnis_wald klangkunst kunstausstellung sf_kunstkatalog_internet.pdf _blank download>Ausstellungskatalog entnommen.

Der Wald ist ein merkwürdiger Ort. Jeder hat ihn gesehen, jeder war schon einmal dort, kennt das besondere Licht und den eigentümlichen Geruch. Und muss nicht sogar jeder Schüler im Erdkundeunterricht lernen, die großen deutschen Wälder aufzuzählen? Wir haben es also zweifelsohne mit einem ganz realen Ort zu tun. Und doch scheint dieser reale Ort von einem zweiten Ort überlagert zu sein. Denn der Wald ist auch ein sozialer Ort, ein Ort, der tausendfach beschrieben und besungen wurde, ein Ort, um den sich Geschichten, Mythen und Bilder ranken, ein imaginärer Ort also, mit Sitz in unserem kollektiven Gedächtnis. Im Grunde ist der Wald ein utopischer Ort, was nicht heißen soll, dass es ihn nicht gibt, sondern eher, dass es ihn sehr oft gibt und dass er aus unterschiedlichen Perspektiven je Unterschiedliches bedeuten kann. Das gilt sicher für jeden Ort und auch für jeden Gegenstand, aber für den Wald doch in besonderem Maße. Das Wort Utopie kommt aus dem Griechischen, ou topos meint Nicht-Ort, und als einen solchen Nicht-Ort möchte ich den Wald bezeichnen, denn das, was wir Wald nennen, ist durch ein hohes Maß an Uneindeutigkeit gekennzeichnet. Der Wald, das war und ist immer auch eine Projektionsfläche für die Gesellschaft. 

So dient uns der Wald als Ort nationaler Identitätsstiftung und als Schauplatz politischer Ursprungsmythen. Die Varusschlacht heißt landläufig nur „Schlacht im Teutoburger Wald“ und in den Geschichtsbüchern kommt keine Beschreibung des Hambacher Festes ohne den Zusatz „im Pfälzerwald“ aus. Von politischen Ideologien konnte der Wald ebenso instrumentalisiert werden, wie er seit den 80er Jahren zum Kampfbegriff einer zumeist städtischen Ökologiebewegung wurde. Wie kaum ein anderes Motiv bestimmt das Eichenblatt unsere politische Symbolik und nationale Ikonografie. Wir begegnen ihm auf Briefmarken, Wappen und Münzen. Aber nicht nur in der politischen Sprache treffen wir auf den Wald, selbst in die philosophische Sprache hat er es geschafft. Mit dem Begriff der „Lichtung“ hat der im Schwarzwald lebende und arbeitende Martin Heidegger der Philosophie eine scheinbar alltagssprachliche, aber doch wissenschaftliche Wortschöpfung hinterlassen, die in keinem philosophischen Wörterbuch fehlen darf und über die noch heute in Universitätsseminaren diskutiert wird. Wer nachlesen möchte, was er darunter versteht, kann das in einem Buch tun, das bezeichnenderweise den Titel „Holzwege“ trägt. Holzwege sind Sackgassen, die im Unbegangenen aufhören – im wirklichen Leben wie in der Philosophie. Wie man sieht, ist der Wald immer auch Metapher. Wir sprechen vom „Blätterwald“ und meinen damit die Unübersichtlichkeit der Presselandschaft, wir bemühen das brechtsche Wort vom „Dickicht der Städte“, wenn wir über das Wuchern megalomaner Großstädte wie New York, Dubai oder Lagos reden. 

Auf der anderen Seite dient der Wald der Gesellschaft als Inbegriff reinster Natur, gerade als die andere Seite der Stadt und der Zivilisation, als unberührtes Tier- und Pflanzenreich. Genauso ist er aber auch Ort der Angst, Rückzugsort für Vagabunden und Verbrecher. Einen der Unheimlichsten hat Gert Fröbe in einem bekannten Film der 50 er Jahre verkörpert. Am hellichten Tag können Verbrechen in unserer zivilisierten Welt nur im Wald geschehen. Und doch bleibt der Wald immer auch Märchenwald, ein Postkartenmotiv, mit dem wir Außeralltägliches wie Ferien oder Wochenenden

verbinden. In einer Zeit vor den Billigfliegern und Städtereisen ging es zur Naherholung in den Schwarzwald, den Bayrischen Wald oder die Eifel. Und auch das Wienerwaldhendl, die erste gastronomische Erfolgsgeschichte der jungen Bundesrepublik, trägt nicht durch Zufall den „Wald“ im Titel.  

Aber der Wald ist eben nicht nur Ort der Erholung und Regeneration, er ist bis heute auch Ort körperlicher Arbeit. Die forstwirtschaftliche Nutzung des Waldes ist daher keineswegs Relikt der Vergangenheit, sie findet inmitten unserer Gegenwart statt. Dass Holz etwa in der modernen Architektur eine regelrechte Renaissance zu erleben scheint, kann so gesehen auch gar nicht verwundern. Als Baustoff passt Holz eben auch ideal zu unseren derzeitigen gesellschaftlichen Leitwerten „Nachhaltigkeit“ und „Verantwortlichkeit“. 

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Der vollständige Text ist im <link fileadmin user_upload erlebnis_wald klangkunst kunstausstellung sf_kunstkatalog_internet.pdf _blank download>Ausstellungskatalog zur Ausstellung „Unlängst im Wald“ abgedruckt.  

Text: Julian Müller
Julian Müller studierte Soziologie und Philosophie in München und Tübingen. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Mittelpunkt seiner Forschung steht die Kultursoziologie, er beschäftigt sich unter anderem mit Fragen nach der Bedeutung der Kunst.