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Unsere Urwälder von nebenan: 45 Jahre Urwald-Keimzellen am Forstbetrieb Kaisheim

Impressionen aus dem Naturwaldreservat Falken. Foto: Helmut Weixler / BaySF

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24. Februar 2023, Kaisheim - Die Frage nach Urwäldern mitten in Bayern mag viele erstaunen. Über 2.000 Jahre Siedlungs- und Rodungsgeschichte hinterließen ihre Spuren, auch im Wald. So wurden die bayerischen Wälder in dieser langen Zeit mehr oder weniger intensiv genutzt und in ihrer ursprünglichen Baumartenzusammensetzung verändert. Wo soll also hier noch Urwald sein?

Der Gedanke, Naturlandschaften unverändert für die nachkommenden Generationen zu erhalten, führte in Nordamerika Mitte des 19. Jahrhunderts zu den ersten Nationalparken. Zu dieser Zeit existierten dort noch große vom Menschen unangetastete Wildnisgebiete. Durch deren Schutz sind diese bis heute in ihrer Zusammensetzung und Entwicklung vom Menschen weitestgehend unbeeinflusst erhalten  geblieben.

In Deutschland wurde im Jahr 1970 im Bayerischen Wald der erste deutsche Nationalpark gegründet. Im Jahr 1978 folgte der Nationalpark Berchtesgaden sowie die Ausweisung zahlreicher sogenannter Naturwaldreservate, die eine vom Menschen ungestörte Waldentwicklung zulassen und deren Entwicklung wissenschaftlich begleitet werden sollte. Einen Überblick bzw. Daten zu diesen liefert der Link: www.naturwaelder.de.

Gleichwohl lassen sich nicht binnen weniger Jahrzehnte 2000 Jahre Siedlungsgeschichte rückgängig machen. Im Gegensatz zu den nordamerikanischen handelt es sich bei unseren Schutzgebieten stets um bereits von Menschen vormals genutzte Wälder. 

„Ca. ein Drittel aller 25 Naturwaldreservate in Schwaben gehören zum Forstbetrieb Kaisheim der Bayerischen Staatsforsten“ so dessen Forstbetriebsleiter, Helmut Weixler.  Nicht ohne Stolz zählt er diese acht Naturwaldreservate auf: „Brunnenschlag, Dumler, Falken, Karolinenwörth, Mitteleich, Neugeschüttwörth, Schneetal und Sulz“. Insgesamt hat der Forstbetrieb Kaisheim zwölf Naturwaldreservate als Urwald-Keimzellen vorzuweisen.

„Bei deren Auswahl wurde seinerzeit hoher Wert darauf gelegt, alle natürlichen Waldgesellschaften mit ihren typischen Standorten und Lebensgemeinschaften zu repräsentieren. Voraussetzungen waren zudem eine naturnahe Baumartenzusammensetzung und bereits hoher Strukturreichtum.“ Dies waren gute Voraussetzungen, um in überschaubaren Zeiträumen wieder urwaldartige Waldstrukturen entstehen zu lassen.

Vielfach gingen diese Naturwaldreservate aus buchenreichen (z. B. Falken, Schneetal, Sulz) oder aus eichenreichen (Dumler, Mitteleich) Mischwäldern hervor. Doch auch seltene Auwaldgesellschaften sind in den Naturwaldreservaten Karolinenwörth, Neugeschüttwörth geschützt. Was gegenüber bewirtschafteten Wäldern besonders auffällt, sind das Fehlen von Baumstümpfen und die Vielzahl der abgestorbenen Bäume. Diese stehen z. T. noch oder liegen vermodernd am Boden. Als Totholz sind sie vielen Vögeln, Insekten und Pilzen Nahrungsgrundlage oder Brut- und Lebensraum. In einigen Naturwaldreservaten konnten Urwaldreliktarten nachgewiesen werden. Diese hatten auch die jahrhundertelange Bewirtschaftungsphase vor der Unterschutzstellung unbeschadet überlebt.

In regelmäßigen Abständen überprüft die Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft deren Entwicklung. Als wesentliche Veränderungen fasst Helmut Weixler zusammen: „In den letzten 40 Jahren ohne menschliche Eingriffe hat sich stets die Stammzahl der Bäume je Hektar verringert. Große und kräftige Bäume setzten sich damit gegenüber Schwächeren durch und dunkelten sie aus. Gleiches gilt auch für schattenertragende Baumarten (z. B. Buche), die sich meist gegen lichtbedürftige Baumarten (z. B. Eiche, Esche) durchsetzen konnten. Durch den Nutzungsverzicht und weil es keine größeren Schadereignisse gab, stieg die Masse der stehenden Bäume deutlich an, meist auf das Doppelte des Ausgangswerts. Für das Entstehen von Baumriesen war der Zeitraum aber noch zu kurz. Urwälder brauchen halt einen langen Atem.“

Von Naturschutzorganisationen wird derzeit häufig die Stilllegung von pauschal zehn Prozent der Staatswaldfläche und mehr gefordert. Dies sieht Helmut Weixler kritisch: „Dieser Prozentsatz orientiert sich weder an der Seltenheit noch am Schutzbedürfnis bestimmter Lebensräume. Die Forderung steht damit ganz im Gegensatz zu dem gründlichen und überlegten Vorgehen bei der seinerzeitigen Auswahl der Naturwaldreservate („Klasse statt Masse“). Zudem wird eine Flächenstilllegung in dieser Größenordnung den wirtschaftlichen Druck auf die verbleibenden Wälder erhöhen. Es kann nicht sein, dass wir hier unsere weltweit anerkannte nachhaltige Forstwirtschaft zu erheblichen Teilen stilllegen und unseren Holzbedarf aus Kahlschlägen in Urwäldern anderer Länder decken wollen.“

Der Grundsatz „schützen und nützen“ ist das bessere Konzept. Hier gibt es Naturschutz auf der ganzen bewirtschafteten Fläche u. a. mit dem Erhalt von Baumriesen, dem Anreichern von Totholz und Habitatbäumen, dem Erhalten und Wiedereinbringen seltener Baumarten, aber auch Schutz der Naturwaldreservate und Naturwälder.  Die beiden letzteren dienen als Urwald-Keimzellen der bayerischen Staatsforsten. Damit entwickeln sich – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – wieder Urwälder in Bayern.