Tief-Durch-Atmen
Waldluft ist würzig. Waldluft ist frisch, ist rein. Gesund und herb, kräftigend und herrlich. Sie ist Sehnsucht und Markenzeichen, Wirtschaftsfaktor und Heilsversprechen. Wirtshäuser und Kurorte schmücken sich damit. Wanderer, Jogger und Fahrradfahrer saugen sie gierig ein. Zu hunderten, tausenden, ja zu Millionen. Statistisch gesehen wird jeder Hektar Wald in Deutschland mindestens 168-mal im Jahr betreten. Am Rand der Metropolen können das allerdings auch 1 000 Besuche pro Jahr und Hektar werden. Die Luft wird gesucht und genossen. Wer nicht ins Grüne kann, greift zum künstlichen Waldaroma: Fichtennadelspray und Latschenkieferöl sollen eine Illusion vom Forst beschwören. Und Ionen-Luftfilter versprechen, Waldluft selbst in die kleinste Stadtwohnung zu zaubern. Keine Frage: Waldluft gilt als ein Maß für Gesundheit. Doch was macht sie eigentlich so gesund? Ein Wunderstoff findet sich jedenfalls nicht in der Luft zwischen Moos und Zweig. Im Gegenteil: Der bloße Cocktail, der in ihr herum schwirrt, scheint es gerade nicht zu sein: Da lassen sich Terpene nachweisen, Ammoniak, Lachgas, Ozon ... Nicht unbedingt Stoffe, die Vertrauen erwecken. Es ist vielmehr der Mix aus meteorologischen, strukturellen und chemischen Eigenschaften, der Schadstoffe abfängt und aus dem Wald eine gigantische Klimaanlage macht.
Zunächst ist Waldluft schlicht ein Nebenprodukt der Holzproduktion, jedenfalls mit Försteraugen betrachtet. Vom Ökosystem aus gesehen, gehört sie einfach zum Wachstum der Bäume dazu. Die kleinen Buchen, Eichen, Fichten, Tannen oder Douglasien wachsen und streben zum Himmel. Aus Kohlendioxid, Wasser, Sonnenlicht und einer Prise Mineralien und Spurenelementen konstruieren sie Wurzeln, Stämme, Kronen, Blätter und Nadeln. Nach einigen Jahrzehnten bilden sie ein dichtes, grünes Dach. Von unten betrachtet liegt zwischen Baumspitzen und Waldboden eine gut 20 Meter breite Luftschicht. „Hier kann sich ein so genanntes Innenklima ausbilden“, erklärt Annette Menzel, Professorin für Ökoklimatologie an der Technischen Universität München. Es ist feuchter als in der Umgebung und wesentlich kühler. Jeder, der schon einmal in einem Forst spazieren war, spürt das. „Die Bäume bremsen den Wind, spenden Schatten und verdunsten viel Wasser.“ Dafür wird Energie verbraucht und die Temperatur sinkt. Diese so genannte Verdunstungskälte erfrischt den schweißgebadeten Wanderer und sie nutzt auch der Jagdhund, wenn er mit heraushängender Zunge hechelt. Der Wald schwitzt in weit größerem Maßstab: Eine ausgewachsene Buche verdunstet über ihre Blätter rund 400 Liter pro Tag.
Aber die transpirierenden Pflanzen sind es nicht allein, die das Waldklima ausmachen. Wald ist ein gewachsener Sonnenschutz. Unter dem Dach der Kronen erreicht kaum ein Strahl den Boden, alles Leben spendende Licht wird vom Blattgrün aufgesaugt. Gerade einmal zwei Prozent der ursprünglichen Lichtmenge schafft den Weg durch die Schichten eines dichten Mischwaldes. Der Untergrund erwärmt sich nur behutsam unter so einem Schirm. Manchmal ist es richtig finster. Und ruhig, denn nicht nur die Sonne, auch der Wind zerzaust vielleicht gerade noch die Kronen, aber lässt den Hut der Wanderer in Ruhe. Die Oberfläche eines Waldes ist rau und der tief gestaffelte Waldsaum nimmt jedem Lüftchen den Schwung. Nur ein Zehntel bis ein Drittel des Windes kommt tatsächlich im Inneren des Waldes an. Von der natürlichen Klimaanlage haben aber nicht nur Förster, Pilzsammler und Freizeitsportler etwas: Dank der grünen Gürtel können viele Städte richtig aufatmen und „cool“ bleiben. Bis zu zehn Grad macht der Unterschied zwischen München und den umliegenden Wäldern aus. Sehr angenehm für jeden, der aus der Stadt flüchtet in heißen Sommern. „Und nicht nur das: Das Klima ist übers ganze Jahr und über jeden einzelnen Tag ausgeglichener“, sagt Annette Menzel, „denn nachts kühlt es nicht so stark ab.“ Die kurzwellige Strahlung findet tagsüber kaum den Weg in den Wald, die langwellige Wärmestrahlung findet vor allem nachts nicht so schnell wieder heraus. „Im Kleinen ist dieser Effekt schon im Biergarten zu beobachten: Die großblättrigen Linden und Kastanien spenden Schatten, kühlen so am Tag und gleichzeitig halten sie die Wärme abends länger.“ Mit Spezialkameras kann man die positive Wirkung sogar sichtbar machen. Auf Wärmebildern werden Wälder blau dargestellt, im Sommer sind sie regelrechte Kälteinseln, von denen die roten, heißeren Städte profitieren. Die kühle Luft aus dem grünen Forst fließt in die aufgeheizten Häuserzeilen ab. Selbst im Winter ist das Klima im Wald noch behaglich, weil die Kraft des Windes ganzjährig gebrochen wird.
Text: Peter Laufmann (Der Textauszug stammt aus dem Magazin der Bayerischen Staatsforsten Nr. 2)