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Das Wandern ist der Bäume Lust

Einst in Bayern heimisch, nun mit tatkräftiger Unterstützung unserer Förster wieder auf dem Vormarsch: die Douglasie

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Viele Bäume kehren nach Bayern zurück

Als das Eis ging, kamen die Bäume. Die Herrschaft der Gletscher war nach Jahrtausenden dahin geschmolzen, Wärme und Wasser gaben Buchen, Eichen und Tannen wieder eine Chance. Meter um Meter eroberten sie zurück und machten aus der Kältesteppe wieder ein Waldland. Und das nur, weil Wälder alles andere sind als statisch, ewig, unveränderlich.

Darüber mag sich der Sonntagsspaziergänger wundern, scheinen doch Bäume fast so unbeweglich wie Felsen der Zeit zu trotzen. Für den Experten ist das normal. „Immer schon gab es im Wechsel der Warm- und Kaltzeiten auch ein Kommen und Gehen der Baumarten“, sagt Thomas Zanker, Leiter der Bayerischen Saalforste und ehemaliger Leiter des Pflanzgartenbetriebs und des Teilbereichs Waldbau. „Einige überlebten, etliche Spezies blieben dabei auf der Strecke.“ Die Baumwanderungen, die unser heutiges Waldbild prägen, begannen bereits vor zwei Millionen Jahren. Damals vereisten weite Regionen der Erde, Gletscher schoben sich über das Land, Pflanzen und Tiere mussten nach Süden ausweichen, wollten sie als Art überleben. Das hört sich leichter an, als es ist. „Das Problem in Mitteleuropa waren die großen Gebirge“, erklärt Zanker, „die Alpen verlaufen von Ost nach West und werden so zu einer unüberwindlichen Barriere.“ Auch die Pyrenäen und die Steppen Osteuropas bilden Hindernisse für alles Lebendige. In Nordamerika hatten die Lebewesen mehr Glück, da sich die Rocky Mountains und Appalachen von Norden nach Süden erstrecken. So kommt es auch, dass es in Nordamerika 800 heimische Baumarten gibt. Bei uns sind es gerade einmal 50. In Ostasien, wo das Klima vergleichbar dem unsrigen ist, tummeln sich sogar 1 000 Baumarten. Auf der Flucht vor dem Eis hatten es viele europäische Bäume nicht geschafft, den rettenden Süden zu erreichen. So ist die Rosskastanie in Mitteleuropa bereits vor zwei Millionen Jahren verschwunden. Mammutbaum, Tulpenbaum, Douglasie und viele andere folgten. Nur wenige Klimaflüchtlinge schafften es auf die Iberische Halbinsel, den Balkan, nach Südfrankreich oder Griechenland. Jede Kastanie, die heute im Biergarten Schatten spendet, ist de facto ein Spätheimkehrer.

In den kargen Gegenden, die wir als Steigerwald oder Erdinger Moos kennen, hielten sich nur mehr zwergwüchsige Birken und Kiefern und trotzten dem trockenen Frost, den ewigen Winden. Erst als sich die Eiszeit vor 12 000 Jahren verabschiedete, machten sich zuerst Birken wieder breit, dann Kiefern, Tannen, Buchen und schließlich Eichen. Wie schnell sich die Bäume ausbreiteten, lässt sich anhand von konservierten Pollen in Mooren rekonstruieren. Die Schichten aus tausende Jahre alten Torfmoosen sind Archive, die recht genau abbilden, wer in welcher Zeit in der Nachbarschaft Blatt und Borke ausbildete.

Die Bäume nahmen natürlich nicht die Wurzeln in die Hand, vielmehr setzten sie darauf, dass ihr Same und damit ihre Art gen Norden kam. „Es gilt“, so Thomas Zanker, „je leichter die Frucht, desto schneller kommt ein Baum vorwärts.“ Birken mit ihren winzigen, geflügelten Samen haben einen Gewichtsvorteil gegenüber Bucheckern oder Eicheln. „Bäume mit schwereren Samen müssen auf fleißige Tiere wie Eichhörnchen oder Eichelhäher hoffen, die sie ein Stück weit mitnehmen, sie fallen lassen, verbuddeln und dann vergessen.“ Zudem setzen Birken auf die Masse; ein einziger Baum kann zehn Millionen Samen in den Wind werfen. So erzielen die Bäume beachtliche Geschwindigkeiten – gemessen an ihrer „Standorttreue“. 2 000 Meter spurtet eine Birke im Jahr. „Selbst eine Eiche bringt es auf 500 Meter“, so Zanker. Allerdings muss man sich das Wandern eher wie ein Hüpfen vorstellen, denn nicht jeder Quadratmeter bietet eine ideale neue Heimat. Von einem biologischen Brückenkopf zum nächsten geht es, langsam zwar, aber stetig.

Natürlich galt es auf dem Weg nach Norden wieder die Alpen zu überwinden. Den Bäumen blieben nur zwei Wege offen: die so genannte Burgundische Pforte im Westen, ein knapp 30 Kilometer breiter Sattel zwischen Schwarzwald und Vogesen und ein schmaler Pfad zwischen dem Ostrand der Alpen und der trockenen pannonischen Steppe. Zwei Nadelöhre sind das, schwierig zu finden, aber über sie lief im Wesentlichen die deutsche Wiederbewaldung. Die Heimkehrer schafften es mit der Hartnäckigkeit, die ein guter Baum mitbringen muss. „Die Rotbuche zum Beispiel kam vor 7 000 Jahren aus ihren Rückzugsgebieten in Kroatien nach Deutschland zurück“, so Thomas Zanker. Und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen: Die Buche marschiert immer noch. In Skandinavien hat sie gerade einmal den südlichen Zipfel besiedelt. Heute spielen nicht nur Gelände und Klima wichtige Rollen bei der Baumwanderung. Der Mensch gibt vielen Arten quasi eine Mitfahrgelegenheit. „Schon die Römer haben Edelkastanien mitgebracht“, so Zanker, „und wir tun das heute mit Douglasien und anderen Baumarten, die wir in den Wäldern ansiedeln.“

Fast so etwas wie ein Ausgleich für den Artenverlust durch die Eiszeit. „Für die Zukunft müssen wir aus ökologischen und ökonomischen Gründen die Vielfalt und die natürlichen Prozesse in den Wäldern erhalten“, sagt Thomas Zanker, „der Klimawandel hält die Waldökosysteme in Bewegung. Es ist gut, wenn wir dem wandernden Wald keine Steine in den Weg legen.“

Der Text stammt aus dem Magazin der Bayerischen Staatsforsten "Weltwald".