Please activate JavaScript!
Please install Adobe Flash Player, click here for download

BaySF_Magazin_Spessart_2012

Landschaft gefährlich sein? Freilich hat die überlieferte Einschätzung, der Spessart sei wild und gefährlich, auch handfes­ te historische Gründe. Viel trug dazu bei, dass hier lange Zeit mit harter Hand regiert wurde. Achthundert Jahre lang, bis zur Säkularisierung 1803, gehörte ein Großteil des Hochspessarts den Mainzer Erzbischöfen und Kurfürsten, die ihn zur Jagd nutzten. Menschen wurden in erster Linie angesiedelt, um ihnen Hilfsdienste zu leis­ ten, ansonsten war praktisch alles verboten: Jagd, Fischen, Holzeinschlag, das Anlegen von Äckern. Die Regeln wurden mit einer Armada von Forst- und Jagdbeamten durchgesetzt und immer wieder verschärft. So erließ Kurfürst Johann Friedrich Carl von Ostein im Jahr 1744 eine „Churfürstlich-Mayntzische Wald-, Forst- und Jagd- auch Fischerey-Ordnung“, die 16 Kapitel samt ausführlicher Bußordnung umfasste. Die private Waldweide wurde verboten, Eicheln, Bucheckern und wildes Obst durften nur mit Genehmigung gesammelt werden, selbst Spazierengehen im Wald war nicht erlaubt. Und die Fische, die sich in den Bächen tummel­ ten, gehörten dem Kurfürsten. Kein Wunder, dass der trickrei­ che Wilderer Johann Adam Ha­ senstab, der die Obrigkeit jahr­ zehntelang narrte, zum Volks­ helden wurde. Nachdem er seinen Häschern unzählige Male entwischt, gefangenge­ nommen, aus dem Gefängnis entflohen, erneut verhaftet und sogar nach Aus­ tralien verbannt worden war und dann doch wie­ der im Spessart auftauchte, wurde er für vogel­ frei erklärt und 1773 von dem kurmainzischen Revierjäger Johann Sator erschossen – dem er übrigens, so geschmacklos ist manchmal das Schicksal, als Kind das Leben gerettet hatte. Der Jäger erhielt, wie das Rechnungsbuch der kur­ fürstlichen Kellerei Rothenbuch vermerkt, „15 Gulden Schuss- und Fanggeld wegen Erlegung des Wilderers Hasenstab“. An der Stelle im Kropf­ bachtal steht heute ein Gedenkkreuz aus Sand­ stein. Manchmal liegen dort frische Blumen oder brennt eine Kerze, die Unbekannte aufgestellt haben. In den anderen Gebieten ging es freier zu. Vor allem in den Glashüttendörfern gelangten die Menschen vorübergehend sogar zu einem ge­ wissen Wohlstand. Steuerlisten aus dem 16. Jahr­ hundert zeigen, dass dort zeitweise besser ver­ dient wurde als in den Dörfern am Main. Die Glasmacherei erforderte großen Kapitaleinsatz, also Investoren und tiefe handwerkliche Kennt­ nisse. Die Rohstoffe waren reichlich vorhanden: Quarzsand aus der Verwitterung des Buntsand­ steins, Holz zum Heizen der Öfen und zum Her­ stellen der Pottasche, die die Schmelztempera­ tur des Quarzes senkt, und Ton für die Formen. Der Eisengehalt des Buntsandsteins färbte das Glas grün. Es wurde als „grünes Waldglas“ be­ kannt und bis nach Holland exportiert. Allerdings waren die Produzenten stark von ihren Märkten abhängig. Wenn die Nachfrage nachließ, gerieten die Glashütten schnell in die Krise. So ging es auch vielen anderen Erwerbszweigen. Das Fuhr­ wesen, das etwa in Frammersbach zeitweilig den halben Ort ernährt hatte, ging den Bach runter, als die Eisenbahn aufkam. So mussten sich die Leute hier immer wieder neu erfinden. Was ohnehin schwer genug ist, denn der Spessart hat eine komplizierte Identität. Aufge­ teilt auf zwei Bundesländer und vier Landkreise, von unter­ schiedlicher Religionszugehö­ rigkeit, durchzogen von alten Sprach- und Kulturgrenzen, von denen der „Äppeläquator“, die Appel-/Apfel-Grenze, nur die bekannteste ist. Ob es über­ haupt eine gemeinsame Spes­ sart-Identität gibt, darüber ge­ hen die Meinungen auseinan­ der. Eigentlich paradox, denn der Spessart ist ja gut defi­ niert. Der Main, die Kinzig und die Sinn rahmen ihn lückenlos. Wo gibt es das sonst? Aber entscheidend ist, was die Menschen draus machen. Es ist das Privileg der Nachgeborenen, das, was die harten Zeiten hinterlassen haben, inte­ ressant oder gar schön zu finden: Die pittoreske, alte Hütte, der man nicht ansieht, wie mühsam in ihr gelebt wurde. Den Eichenhain, der angelegt wurde, um Gerberlohe zu gewinnen. Die offene Landschaft, die entstand, weil Wald für Äcker und Weiden gerodet wurde – und die, obwohl men­ schengemacht, als Inbegriff von Natur gilt. Im Hafenlohrtal übrigens wollte die Regierung von Unterfranken lange einen Trinkwasserspeicher bauen. Erst 2008 wurden die Pläne, nach jahr­ zehntelangem, erbittertem Widerstand, aufgege­ ben. Hauptargument gegen den Trinkwasserspei­ cher damals wie heute ist der hohe ökologische Wert des Hafenlohrtals. www.wald-im-spessart.de Landschaften, die menschen­ge­ macht sind, gelten heute als Inbegriff der Natur. N at u rk u lt u r Das Vokabular ist ein biss­ chen sperrig: Segrega­tive oder integrative Waldbe­ wirtschaftung. So nennen sich die zwei Positionen in einer Debatte, in die auch die Spessartwälder einbezogen sind. „Segre­ gativ“ meint, den Wald zu teilen: In einen Naturwald, der nicht genutzt werden darf, und einen größeren Teil, der intensiv bewirt­ schaftet wird. Die Strate­ gie zur biologischen Viel­ falt der Bundesregierung geht in diese Richtung und möchte 5 Prozent der Waldfläche einer natürli­ chen Waldentwicklung über­ lassen. Der bayerische Weg hingegen ist ein ande­ rer. Die bayerische Bio­ diversitätsstrategie sieht eine naturnahe, integra­ tive Bewirtschaftung auf der gesamten Fläche vor. Das heißt, Naturschutz und Bewirtschaftung wer­ den als ein Ganzes gese­ hen, also beide in die Waldbewirtschaftung inte­ griert, um die Biodiver­ sität der Wälder zu fördern und eine angemessene Holzversorgung zu gewähr­ leisten. Wir nennen das: Schützen und nutzen. Ein Prinzip, das ausgezeichnet funktioniert, was man nicht zuletzt an den Spes­ sartwäldern erkennen kann. Sie sind eine „integ­ rierte“ Kulturlandschaft, deren Artenvielfalt oft rei­ cher ist als in der Wildnis. 10 Der Spessart K u lt u rgeschichte

Pages