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BaySF_Magazin_Spessart_2012

Feucht und schwer liegt die Luft über den Wiesen im Hafenlohrtal. Nur zögerlich schmilzt die Sonne den Frühnebel weg. Es riecht nach Gras und nassem Holz, würzig und ein bisschen faulig. Aber auch ein frischer, fruchtiger Duft ist dabei. Der kommt von den Äpfeln, die von einem alten Apfelbaum ins Gras gefallen sind. Ein Bus­ sard verlässt seinen Ansitz auf einem Pfahl und schwingt sich in die Luft, bis er mit wenigen Flü­ gelschlägen das Tal überquert hat und im Wald verschwunden ist. Natur pur. Oder? Einerseits ja, andererseits ist diese Landschaft das Werk des Menschen. Jahrhundertelang wurden diese Wiesen bewäs­ sert, um ihren Ertrag zu steigern und Futter fürs Vieh zu produzieren. Mit einem ausgeklügelten System von Dämmen, Kanälen und Wehren wur­ de das Wasser verteilt. So entstanden unter­ schiedliche Wiesentypen mit einer großen Ar­ tenvielfalt. Im Sommer blühen hier Schwertlilie, Kuckucks-Lichtnelke, Wiesenknöterich, das Breit­ blättrige Knabenkraut und andere Orchideen, an manchen Stellen sogar der Rundblättrige Son­ nentau, eine seltene fleischfressende Pflanze. Schmetterlinge tummeln sich, die Blauflügel- Prachtlibelle, der Eisvogel. So ist durch Zutun des Menschen eine Landschaft entstanden, die wie ein Inbegriff von Natur wirkt – weshalb sie auch weiterhin gemäht werden muss, damit das so bleibt. Denn ohne den Menschen würde sich der Wald diese Wiesen zurückerobern. Das ist also schon das erste Missverständnis: Dass es Orte gibt, an denen der Mensch wirkt und daneben die Natur. In Wahrheit hängt beides zusammen. In den meisten Kulturlandschaften ist die Artenvielfalt sogar höher als in der Wild­ nis. Weil sie kleinteiliger ist, vielgestaltiger. Kul­ turlandschaft entsteht, indem Menschen über lange Zeit hinweg ihr Leben organisieren. Indem sie mit Zähigkeit und Geschick immer neue Ant­ worten finden auf die Ausein­ andersetzung mit der Land­ schaft, dem Boden, dem Klima. Und der Spessart ist eine Kulturlandschaft par excel­ lence. Nicht nur dort, wo es offensichtlich ist, nämlich an seinen Rändern  – mit den Weinbergen, den Äckern, den Streuobstwiesen  –, sondern auch mittendrin, im Wald. Überall sind Spuren mensch­ licher Tätigkeit zu finden: Die Menschen nutzten seit jeher das Holz als Bau- und Brenn­ holz und verschwelten es in Kohlemeilern. Sie weideten ihre Tiere im Wald und schälten die Eichen, um Lohe zum Gerben des Leders zu gewinnen. Sie transportierten Wa­ ren und Passagiere, auf alten Wegen, die vor­ nehmlich auf den Rücken der Höhenzüge ver­ liefen. Sie nutzten das Wasser, um Mühlen zu betreiben, sie legten Äcker an, errichteten Glas­ hütten und bauten Bodenschätze ab. All dies griff in die Landschaft ein und hinterließ Spuren. Man muss sie nur zu lesen wissen. Verbuschte, stark verzweigte Bäume etwa zeigen an, dass hier Tiere zum Weiden in den Wald getrieben wurden, die einst die jungen Bäumchen verbissen haben. Reste von Wehren und Bewässerungs­ gräben erkennt man oft erst, wenn man genau­ er hinsieht, ebenso ehemalige Ackerterrassen. Spuren der alten Wege wie Eselsweg, Postweg oder Birkenhainer Straße sind auf den zweiten Blick an vielen Stellen sichtbar, ebenso Wüstun­ gen und Reste von Kartausen oder Schächte von ehemaligen Minen. Dass der Spessart überhaupt dieses spezi­ elle Image hat, dass er als irgendwie wild und gefährlich gilt, als grüne Einöde, das liegt natür­ lich unter anderem am „Wirtshaus im Spessart“, dieser Komödie aus den fünfziger Jahren, die wiederum auf das gleichnamige Märchen von Wilhelm Hauff zurückgeht, das seinerseits auf alten Vorurteilen fußt … und so pflanzten sich die Missverständnisse munter fort. Auch heute noch ist das „Wirtshaus im Spessart“ Thema der Freilichtfestspiele in Schloss Mespelbrunn. Und der Räuber mit der Fasanenfeder am Hut macht sich auf den verschiedensten Wirtshaus­ schildern natürlich auch gut. Dabei kann man sich kaum eine friedlichere Landschaft vorstellen. In den sanften Wiesentä­ lern sowieso, aber auch im Wald. Das Rauschen der Blätter, das Flirren des Lichts, das Rascheln des trockenen Laubs zwischen den hohen Bu­ chenstämmen – das ist alles so freundlich, so luftig, so fest­ lich. „Wenn Landschaft Musik macht: Dies ist ein deutsches Streichquartett“, schrieb Kurt Tucholsky, wofür ihm die Tou­ rismusämter noch heute dank­ bar sind. Auf fast schon ku­ riose Weise pazifistisch ist beispielsweise die „Sieges- Eiche“ im Flörsbachtal: Sie ist nicht dem säbelrasselnden An­denken an eine gewonnene Schlacht gewidmet, sondern einem Revierförster, der so hieß: Udo Sieges. Kann so eine In den meisten Kulturland­ schaften ist die Artenvielfalt höher als in der Wildnis. Linke Seite oben: Das Wirtshaus „Hoher Knuck“ war die Zen­trale des Widerstands gegen den Trinkwas­serspeicher im Hafen­lohrtal. Nach jahrzehntelangem Kampf wurden die Pläne für das Stauwerk aufgegeben. Linke Seite unten: Wechselvolle Geschich­ te: Schönrain wurde im 11. Jahrhundert als Benediktinerkloster gegründet, wurde mehr­ fach zerstört – und ist seit 200 Jahren endgül­ tig Ruine. 9Der Spessart K u lt u rgeschichte

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